31.03.2004

Einig bei Ablehnung der Ausbildungsplatzabgabe

Kürzlich waren Mitglieder der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu einem Informationsgespräch in der Handwerkskammer Reutlingen.

Joachim Möhrle, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, hob zunächst die große Ausbildungsleistung des Handwerks in der Region im vergangenen Jahr hervor: "Trotz der insgesamt schwierigen Situation ist es gelungen, nahezu gleich vielen Jugendlichen wie im Vorjahr einen Ausbildungsplatz im Handwerk zu verschaffen."

Darüber hinaus hätten auch im vergangenen Jahr zahlreiche Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Auch jetzt seien wieder fast 400 freie Ausbildungsstellen in der Lehrstellenbörse der Kammer zu finden (www.hwk-reutlingen.de/ausbildung).

Um so absurder sei die Diskussion um eine Ausbildungsplatzabgabe, so Möhrle weiter. Wenn künftig Ausbildungsplatzangebote subventioniert würden, dann sei eher zu befürchten, dass in diesem Jahr weniger Ausbildungsplätze angeboten werden. Darüber hinaus bestehe insgesamt die Gefahr, dass das bewährte duale System ausgehöhlt werde und an seine Stelle eine Verschulung der beruflichen Ausbildung trete - mit der Gefahr, am realen Bedarf der Betriebe vorbei auszubilden.

Auch Winfried Kretschmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im baden-württembergischen Landtag, lehnte eine Ausbildungsplatzabgabe ab. Sie werde letztendlich nicht zu dem Erfolg führen, den man sich verspreche. Allerdings müsse mit vereinten Kräften verhindert werden, dass Jugendliche nach der Schule auf der Straße landen. Hierzu sei auch eine Flexibilisierung der Ausbildung insgesamt notwendig.

Kreishandwerksmeister Harald Herrmann hob in diesem Zusammenhang hervor, dass das Handwerk vor allem ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche brauche. Viele Gewerke hätten direkt mit Privatkunden - auch im Haushalt - zu tun, und deshalb müsse man von den Jugendlichen die grundlegenden Kulturtechniken erwarten. Gerade hier seien jedoch sehr große Defizite festzustellen, und die Erziehungsfehler in Familie und Schule könnten von den Betrieben nicht aufgearbeitet werden.

Angesprochen wurde auch die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union. Präsident Möhrle hob hervor, dass durch diese Erweiterung ein Reformdruck auf Deutschland zukomme, dem das Land zurzeit nicht gewachsen sei. Er vermisse von der Politik insgesamt eine klare Konzeption - sowohl in der Steuerpolitik als auch bei der Umgestaltung der Sozialsysteme insgesamt.

Während Boris Palmer, Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, im Wesentlichen die positiven Möglichkeiten der EU-Erweiterung für die deutsche Wirtschaft hervorhob, legte Harald Herrmann Wert auf die Feststellung, dass die Erweiterung für viele Handwerksbetriebe eine Einbahnstraße sei. Billige Arbeitskräfte könnten sehr wohl nach Deutschland kommen, deutsche Handwerksbetriebe hätten hingegen auf Grund der hohen Lohnnebenkosten im Ausland keine Chance. Hinzu komme, dass Handwerksbetriebe ihren Firmensitz nicht einfach ins Ausland verlegen könnten.

Weitere Themen des Gesprächs waren die möglichen Auswirkungen der Novelle der Handwerksordnung sowie die Bildungspolitik insgesamt.