Offene Worte richtet Präsident Harald Herrmann an besorgte Mitgliedsbetriebe in der derzeitigen Krise. Foto: Handwerkskammer

16.09.2022

Offener Brief des Präsidenten an die Betriebe in der Krise

Was wir als Handwerkskammer in der Krise tun und erreicht haben. Und was wir nicht tun sollten – Anmerkungen von Präsident Harald Herrmann.

Die Mails, Briefe und Telefonate, die uns in letzter Zeit erreichen, haben fast alle denselben, aufgeladen-emotionalen Tenor: „Was tut Ihr als Kammer in dieser Krise eigentlich für mich? Warum zahle ich meine Beiträge, wenn Ihr gegen die steigenden Rohstoff- und Energiepreise nichts unternehmt? Habt Ihr uns vergessen? Wofür braucht man Euch noch?“ Ohne Frage, die Entwicklungen der letzten Monate, und ganz besonders der letzten Wochen, trafen das Handwerk schwer. Anfang des Jahres waren es noch die Krankenstände der Corona-Pandemie, die den Betrieben zusetzten, dann immer stärker Preisexplosionen und Materialverknappung. Eine neue Zäsur brachte der Ukraine-Krieg, mit nochmals verschärften Folgen bei Energiepreisen und Lieferketten. Ob es immer nur der Krieg war, sondern in dessen Windschatten viel unbemerkter die aus meiner Sicht unverantwortliche Profitgier von Spekulanten, die zu unserer aller Lasten horrende Gewinne mit lebensnotwendigen Gütern wie Material und Energie machen, lasse ich mal dahingestellt.

Die zu Beginn des Jahres aufgekeimten Hoffnungen auf eine kräftige konjunkturelle Erholung im laufenden Jahr wurden jedenfalls vollständig zunichte gemacht. Mehr noch: Die Lage im Handwerk hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft. Vor allem in den energieintensiven Betrieben wie Bäckereien, Metzgereien, Gebäudereinigern, Wäschereien oder Brauereien. Bei 9 von 10 Handwerksbetrieben sind die Energiekosten massiv, ja zum Teil ins Unerträgliche gestiegen. Die Preise erscheinen unverschämt und sind existenzbedrohend. Zu Recht schallt laut der Ruf nach raschen, unbürokratischen Wirtschaftshilfen der Bundesregierung.

Aufgebracht uns gegenüber sind daher auch einige unserer Mitgliedsbetriebe und beschimpften uns für unser vermeintliches Nichtstun. Mitnichten ist es so, dass wir als Handwerkskammer nicht tätig wurden und werden:

Es gibt immer zwei Möglichkeiten, die Nöte und Sorgen unserer Betriebe aufzugreifen und dabei ihre Interessen zu vertreten. Das eine sind Verlautbarungen in der Presse, auf der Webseite und anderen Medien, in denen man berechtigterweise politische Prozesse anspricht, die nicht so laufen wie sie sollen oder die Handwerksbetriebe und ihre Situation nicht gebührend berücksichtigen. Die Presse- und Medienarbeit bei überregionalen, vor allem landes- und bundesweiten Themen und Problemen – und solche hat die Material- und Energieversorgungskrise zunehmend gebracht – übernehmen für uns arbeitsteilig der Baden-Württembergische Handwerkstag in Stuttgart (BWHT) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Damit dies auch geleistet wird, entrichten wir dorthin einen nicht unerheblichen Teil der an uns gezahlten Mitgliedsbeiträge. Wenn also in der Tageszeitung eine Meldung mit einer landes- oder gar bundesweit wichtigen Forderung bzw. Initiative durch Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold zu lesen ist oder eine von ZDH-Präsident Hans-Peter Wollseifer zur aktuellen Situation zu hören – so ist das (auch) unsere Arbeit. Teilweise mit Ideen, die wir beigesteuert haben.

Eine weitere, nach unserer Ansicht in diesen Tagen viel wichtigere Möglichkeit, ist allerdings das Führen von Gesprächen hinter den Kulissen auf direkter Ebene in der Region, vor allem aber in Land und Bund. Da gibt es dann manchen Grund, nicht mit allen Zwischenergebnissen gleich an die Öffentlichkeit zu preschen. Wir sind der Überzeugung, dass diese besonnenen Gespräche im Hintergrund im Ergebnis mehr bringen, als ein in vielen Ohren verständlicherweise gern gehörtes „Draufhauen“ in der Presse. Einen Minister nur zu beschimpfen, weil er anscheinend von Betriebswirtschaft wenig versteht, hilft uns allen, insbesondere unseren Betrieben, in dieser Situation wenig bis gar nicht. Eine überaus emotional geführte Debatte verhilft zwar zugegebenermaßen Druck abzubauen, ansonsten verhärtet sie die Fronten unnötig.

Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold konferiert regelmäßig mit Ministerpräsident Kretschmann; parallel stehen ZDH-Präsident Hans-Peter Wollseifer und sein Generalsekretär, Holger Schwannecke, im permanenten Kontakt mit Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck und dessen Fachleuten, um mit Nachdruck und immer wieder aufs Neue die aktuelle Situation der Handwerksbetriebe zu erörtern. Denn Forderungen müssen konkret sein, vor allem, um die Politik festzunageln und dazu zu zwingen, Farbe zu bekennen. Was aktuell auch geklappt hat. Ankündigungen des Bundeswirtschaftsministers, den Rettungsschirm größer, ihn also auch über das Handwerk zu spannen, sind auf Handlungsvorschläge des ZDH, seiner Handwerkskammern und Handwerksverbände zurückzuführen. Endlich wird nun greifbarer, wofür wir uns alle seit Wochen intensiv und in allen Gesprächen und Konferenzen bei der Politik immer wieder eingesetzt haben: Für alle unsere energieintensiven Betriebe soll es schließlich doch die Möglichkeit einer direkten Bezuschussung zum Ausgleich ihrer exorbitant gestiegenen Energiekosten geben.

Es tut uns leid, wenn Sie zu den Betrieben gehören, die zurzeit nicht ausreichend mit dem für Sie notwendigem Material versorgt werden. Hätten wir die Macht das zu ändern, täten wir das umgehend. Wenn aber wir als Handwerkskammer Reutlingen es nicht schaffen, was Großkonzerne im Umgang mit Materialengpässen nicht hinbekommen, sollte man uns daraus keinen Vorwurf machen. Wir müssen uns hier – und das geschieht ebenfalls in den politischen Gesprächen – auf den deutlichen Hinweis an die Politik beschränken, dass die Situation auch auf diesem Gebiet unverändert dramatisch ist und Wege der Abhilfe gefunden werden müssen. Die derzeitige Lage zeigt aber allen Unternehmen sowie ihren Kammern und Verbänden Grenzen auf. Es sind letztlich Grenzen, die wir alle als überwunden angesehen hatten, indem wir an eine dauerhafte Welt des friedlichen, im gegenseitigen Respekt der Staaten ablaufenden, grenzenlosen und auch fairen Handels mit ausreichender Versorgung von Material und Energie glaubten – allem Anschein nach ein Irrglaube. Hoffen wir dennoch, dass sich nicht nur die wirtschaftliche Lage für uns alle bald verbessert.

Die Situation zeigt im Übrigen aufs Neue, dass wir uns vom Energiebezug aus anderen Staaten unbedingt unabhängig machen müssen, es daher wichtiger denn je ist, Energiequellen im eigenen Land zu erschließen. Und das sind ausschließlich die erneuerbaren mit ihrem ganzen Chancenpotenzial für so viele Handwerksbetriebe unter unseren Mitgliedern.

Das Handwerk hat in seiner Geschichte schon viele Krisen überstehen müssen. Und es hat sie dann gut überstanden, wenn es mit vernünftigen Vorschlägen an die Politik herantrat und so deren Aufmerksamkeit erreichte. Wo hingegen nicht nach dieser Handlungsmaxime vorgegangen wurde, bekam das Handwerk Lösungen verpasst, die ihm schadeten statt ihm zu nutzen. Ein Beispiel dafür war und ist bis heute die Änderung der Handwerksordnung vor bald 20 Jahren.

Wir bleiben in Überzeugung bei unserer Linie, dass unseren zunehmend in Not geratenen Betrieben am Ende sachlich vorgetragene konkrete Forderungen helfen, auf welche die Politik mit konkreten Hilfen reagiert. Die ersten Reaktionen deuten darauf hin, dass dieser Weg erfolgsversprechender ist als ein populistisches Mediengetöse oder gar „Ministerbashing“. Auf diesem Weg sollten die Handwerksorganisationen gemeinsam weitergehen.

Ihr

Harald Herrmann

Wenn Sie sich einen Überblick über die Aktivitäten und Arbeit unserer Dachverbände verschaffen möchte, empfehlen wir Ihnen folgende Webseiten:

  www.handwerk-bw.de Die gemeinsame Plattform von Kammern und Verbänden, die das Handwerk mit einer Stimme gegenüber Politik und Öffentlichkeit vertritt.

  www.zdh.de  Hier finden Sie Umfragen, Positionen, Statements und Interviews zum aktuellen Thema.