Sommervollversammlung der Handwerkskammer
Die Tagesordnung war prall gefüllt: das höchste Gremium der Handwerkskammer Reutlingen beschäftigte sich mit aktuellen handwerkspolitischen Themen, mit dem Jahresabschluss und mit der Umsetzung des Berufsvalidierungsgesetzes.
Präsident Alexander Wälde und Hauptgeschäftsführerin Christiane Nowottny gingen in ihrem gemeinsamen Bericht auf die Konjunktur und die wirtschaftspolitischen Beschlüsse der neuen Bundesregierung ein. Diese habe mit den Maßnahmen für schnelleren Wohnungsbau, den geplanten Investitionen in Infrastruktur und den verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten einige wichtige Impulse für mehr Wachstum gesetzt. „Es kommt nun auf die zügige Umsetzung an“, sagte Wälde. Die Entscheidung, das Handwerk von der angekündigten Senkung der Stromsteuer auszunehmen und vorerst nur die Industrie, die Land- und Forstwirtschaft zu entlasten, sei falsch. „Wir sind enttäuscht als Handwerk“, so Wälde. Schließlich seien die Energiekosten in vielen Handwerksbereichen, etwa im Nahrungsmittelhandwerk oder bei den Textilreinigern, ein wesentlicher Kostenfaktor.
Die konjunkturelle Lage bezeichnete Wälde als nach wie vor herausfordernd. Der jüngsten Umfrage der Kammer zufolge bezeichneten 64 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage als gut. Knapp 10 Prozent äußerten sich unzufrieden. Positive Signale kommen aus der Baubranche und von den Gewerblichen Zulieferern, die zuletzt etwas höhere Auftragseingänge verzeichnen konnten.
Im Vorfeld der Landtagswahl im kommenden Jahr hat das Handwerk seine Erwartungen an die künftige Landesregierung unter dem Titel „26 für 26. So gelingt der Politik ein Meisterstück“ formuliert. Zu den Forderungen gehören unter anderem ein wirksamer Bürokratieabbau, faire Wettbewerbsbedingungen mit Blick auf die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen, eine Stärkung der beruflichen Bildung, die Fachkräftesicherung, eine mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik und die Digitalisierung. Mit dem Positionspapier, so Wälde, verfügten die Handwerksorganisationen im Land über eine abgestimmte und tragfähige Grundlage der Interessenvertretung.
Einen Überblick über die Arbeit der Handwerkskammer gab Hauptgeschäftsführerin Christiane Nowottny. Die Kammer verstehe sich als moderner Dienstleister für ihre Mitgliedsbetriebe. Der Ausbau des Serviceangebots und eine Verbesserung der Prozesse sei eine Daueraufgabe. Dabei spiele die Digitalisierung eine wichtige Rolle, so Nowottny. Mit der Umstellung auf den digitalen Lehrvertrag, die zum Jahresbeginn abgeschlossen wurde, konnten die Bearbeitungszeiten deutlich reduziert werden. „Die Kammer wird diesen Weg weitergehen und nach und nach weitere Teile des Serviceangebots digital verfügbar machen“, sagte Nowottny.
Besser als erwartet entwickelte sich das Haushaltsjahr 2024. Der Jahresabschluss liegt mit einem Fehlbetrag von 351.387 Euro deutlich unter den Planungen. Dies sei, so Nowottny, zum einen auf die sparsame Haushaltsführung und einen verlangsamten Preisanstieg zurückzuführen, aber eben auch auf den schwachen Tarifabschluss der Länder. Die für das Jahr 2024 eingeplanten Gehaltserhöhungen seien deutlich später als erwartet wirksam geworden.
Aus finanztechnischer Sicht sei es ein zufriedenstellendes Jahr für die Handwerkskammer gewesen, ergänzte David Blank, Geschäftsbereichsleiter Finanzen und Controlling. Allerdings dürften die Spielräume spätestens ab 2027 enger werden. Er verwies auf notwendige Investitionen in das Kammergebäude und in der Bildungsakademie Tübingen. Neben gleichbleibenden Zuschüssen von Bund und Land sei vor allem mit höheren Ausgaben für die ÜBA und die Kammer allgemein zu rechnen. Auch die an sich begrüßenswerten Investitionsanreize der Bundesregierung könnten sich im Kammerhaushalt bemerkbar machen. Sinken in der Folge der verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten die Erträge, führe dies mittelfristig zu sinkenden Beitragseinnahmen. Den Jahresabschluss 2024 nahm die Vollversammlung zur Kenntnis und entlastete einstimmig die Geschäftsführung.
Weiter fasste das Gremium zahlreiche Beschlüsse zur Besetzung von Prüfungsausschüssen und zur Neufassung von Prüfungsordnungen. Ein weiteres Thema war die Umsetzung des Berufsbildungsvalidierungs- und digitalisierungsgesetz, das zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist. Es ermöglicht Personen ohne Ausbildungsabschluss einen Weg, berufliche Kompetenzen in einem geregelten Verfahren feststellen zu lassen. Die Regelung stößt auf Vorbehalte im Handwerk. Befürchtet wird eine Abwertung regulärer Ausbildungsabschlüsse, die durch die Validierung eröffnet werde. Dies sei nicht der Fall, entgegneten Präsident Wälde und Hauptgeschäftsführerin Nowottny. „Die Validierung führt zu einer Bescheinigung über berufliche Kompetenzen am Maßstab einer ausgelernten Fachkraft, sie führt aber nicht zum Gesellenbrief.“
Insgesamt fällt die Nachfrage überschaubar aus. Die zentrale Beratungsstelle für Validierung in Baden-Württemberg, die für die Erstberatung und Vorprüfung zuständig ist, führte von Januar bis Mitte Juli insgesamt 117 Beratungen durch. Auf den Kammerbezirk Reutlingen entfielen vier Beratungen. „Die im Vorfeld befürchtete Überlastung der Kammern ist nicht eingetreten“, stellte Nowottny fest. Über die Fortführung der zentralen Beratungsstellen wollen die Kammern im Dezember entscheiden.