Mustapha Jatta und Amfaal Sanneh haben in der Einstiegsqualifizierung überzeugt und beginnen nun mit der Ausbildung zu Glaser.

03.07.2017

Verantwortung übernehmen

Am Bewerbermangel liegt es nicht, dass der Traditionsbetrieb Nestle aus Waldachtal zwei junge Gambier zu Glasern ausbildet.

Vor zwei Jahren sind Mustapha Jatta und Amfaal Sanneh im Schwarzwald angekommen. Der Kontakt zur Firma kam über einen Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit zustande, der die beiden bei der Suche nach einem Praktikum unterstützte. Darauf folgte eine sogenannte einjährige Einstiegsqualifizierung, in der potentielle Kandidaten, die noch nicht so weit sind, im Betrieb auf eine berufliche Ausbildung vorbereitet werden. Jetzt geht es mit der Lehre zum Glaser weiter.

Sieht im Rückblick einfach aus, war es aber nicht. „Wir haben die Frage lange in der Familie besprochen“, sagt Geschäftsführer Jürgen Nestle. Zwar bildet der Traditionsbetrieb seit jeher seine Fachkräfte selbst aus, ab Herbst sind es insgesamt zehn Auszubildende. Mit der Entscheidung, Jatta und Sanneh einen Ausbildungsplatz anzubieten, betritt das Unternehmen Neuland.

An Bewerbern fehlt es nicht. „Es könnten mehr sein“, meint Tochter Annkathrin Nestle, die 2015 gemeinsam mit ihrer Schwester Janine in die Geschäftsführung eingetreten ist. Es sei schwieriger geworden, junge Leute für eine Ausbildung im Handwerk zu gewinnen. Obwohl das Unternehmen aktiv um Nachwuchs wirbt. Nestle beteiligt sich regelmäßig an Bildungsmessen, pflegt Partnerschaften mit mehreren Schulen und bietet Praktika an.

Was gab dann den Ausschlag? Jürgen Nestle geht es vor allem um die gesellschaftliche Verantwortung. Er sieht sich in der Pflicht, den Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, mehr als Verpflegung und ein Dach über dem Kopf anzubieten. Deshalb sei es wichtig, Qualifizierung und den Einstieg in Arbeit zu ermöglichen. „Es wäre das Schlimmste, im Zimmer zu sitzen und nichts zu tun.“

Das hatten Jatta und Sanneh auch nicht vor. Obwohl sie ihre früheren Berufspläne ad acta legen mussten. Jatta zog es ins Bankenwesen, Sanneh beschäftigte sich mit Informationstechnologie. Beide absolvierten Prüfungen nach dem West African Examination Council, einem staatenübergreifenden Standard für den Hochschulzugang. Und nun eine Lehre in einem deutschen Handwerksbetrieb. „Es ist eine gute Ausbildung“, sind Jatta und Sanneh überzeugt.

Was die betriebliche Seite angeht, sieht Jürgen Nestle keine Probleme. Schließlich gehören Jatta und Sanneh schon seit einem Jahr dazu, sind in die Belegschaft und die Arbeitsabläufe eingebunden. Anders könnte es auf der Berufsschule aussehen, der Sprache wegen, obwohl die beiden Westafrikaner bereits ein Jahr lang Deutsch in Vollzeit gelernt haben. Ein gewisser Mehraufwand für Betreuung und Unterstützung sei daher eingeplant, so Nestle. Dazu sollen auch die anderen Lehrlinge einen Beitrag leisten, etwa beim Schreiben des Berichtsheftes helfen oder bei Bedarf den Unterrichtsstoff gemeinsam nacharbeiten.

Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass es funktionieren könnte. Jatta und Sanneh sind integriert und tun auch etwas dafür. Beide spielen Fußball beim SV Tumlingen-Hörschweiler, haben im Verein und außerhalb einen Bekanntenkreis aufgebaut, dem selbstverständlich auch Deutsche angehören. Und sie kommen auch mit deutschen Gepflogenheiten immer besser zurecht. Mittlerweile sei ihnen auch klar, dass man zu einem Termin um sieben Uhr nicht erst eine halbe Stunde später erscheint, sagt Jürgen Nestle mit einem Schmunzeln.

Der Großteil der 60 Mitarbeiter wurde im Unternehmen ausgebildet. Darauf ist Jürgen Nestle stolz. Ob auch Jatta und Sanneh zum künftigen Stamm gehören werden, ist noch nicht ausgemacht. Die beiden Gambier wollen irgendwann einmal in die Heimat zurückkehren, vorausgesetzt, die Lage dort beruhigt sich. „Eine gute Ausbildung machen, eine paar Jahr ‚schaffen’ und dann wieder in die Heimat“, fasst Jatta seine Pläne zusammen.

Für Jürgen Nestle ist erst einmal die Ausbildung wichtig. „Ob es funktioniert, weiß man nicht. Es gibt keine Sicherheit“, sagt Nestle. Für ihn steht allerdings fest: „Man muss die Chance nutzen.“