Die Sommervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen – hier die Arbeitgeberseite – widmete sich dem Rückblick auf die Arbeit des vergangenen Jahres sowie aktuellen Herausforderungen.

24.07.2012

Die "Wirtschaftsmacht von nebenan" und ihre Lobby

Die Sommervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen widmete sich dem Rückblick auf die Arbeit des vergangenen Jahres sowie aktuellen Herausforderungen. Diese könnten – so die durch Präsident Joachim Möhrle und Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert vertretene Führungsspitze der Handwerkskammer Reutlingen unisono – nur durch eine dicht und schlagkräftig aufgestellte Handwerksorganisation gemeistert werden.

Das Themenspektrum der Vollversammlung reichte dabei von der Genehmigung des Jahresabschlusses 2011 über nachweisbare Erfolge bei der Lobbyarbeit für die kleinen und mittleren Betriebe des Handwerks bis hin zu konkreten Unterstützungsmaßnahmen bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels.

„Die Handwerkskammer Reutlingen wird nach der Sommerpause eine Informationsveranstaltung für Betriebe anbieten, in der sich diese über die Möglichkeiten informieren können, junge Spanier und Spanierinnen einzustellen“, erläuterte Eisert das Vorhaben. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels in der Region und der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit in Spanien auf der anderen Seite, würden Vertreter der spanischen Botschaft, der Arbeitsverwaltung sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rechts- und der Ausbildungsabteilung der Handwerkskammer interessierten Betrieben Rede und Antwort stehen.

Auf den ersten Blick abstrakter aber nicht weniger bedeutungsvoll waren weitere ausgewählte Beispiele der Lobbyarbeit, von denen Eisert berichtete: „Um im Würgegriff der ganz Großen – also zum Beispiel der EU oder den eher groß-industriell orientierten Interessensvertretern – nicht unterzugehen, dazu braucht die ‚Wirtschaftsmacht von nebenan’ eine schlagkräftige, gut gestaffelte Handwerksorganisation.“

Das werde zum Beispiel deutlich bei den Auseinandersetzungen über die EU-Richtline „Solvency II“, bei der Pensionskassen ähnlich wie Versicherungen und Banken neuen, verschärften Eigenkapitalanforderungen unterworfen werden sollen. Dadurch würden im Handwerk beliebte Modelle der betrieblichen Altersvorsorge deutlich an Attraktivität verlieren. Ein weiteres Thema, das sowohl Existenzgründer als auch alt eingesessene Betriebesinhaber angehe, sind die aktuellen Diskussionen über die künftige Rentenversicherungspflicht für alle Selbständigen.

„Wir haben außerdem erneut auf ein Ärgernis aufmerksam gemacht“, so Eisert, „das wie kaum ein anderes der letzten Jahre bei den mittelständischen Handwerksbetrieben derart für Unmut gesorgt hatte. Ich meine das Gesetzes zur Vorverlegung der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen.“ Der Grund für dieses „unsinnige Bürokratiemonster“ sei gewesen, dass die Mindestreserve in der gesetzlichen Rentenversicherung durch politische Fehlentscheidungen der Vorjahre so abgeschmolzen worden war, dass für das Jahr 2006 eine erhebliche Finanzierungslücke drohte, die durch einen einmaligen Effekt von dreizehn Sozialversicherungsbeiträgen aufgefangen werden sollte. Inzwischen sei die Kassenlage der Rentenversicherung jedoch so gut, dass dieses Gesetz wieder rückgängig gemacht werden könne.

Deutlich formulierten die Kammervertreter auch eine Kritik am Landratsamt Reutlingen. Bei der Ausschreibung eines Kreisstraßenausbaus habe das Landratsamt ohne triftigen Grund eine zehnjährige Gewährleistung verlangt. Gerade die Straßenhaltbarkeit hänge jedoch von vielen unterschiedlichen Faktoren ab: von der Witterung – also Frost, Schnee, Streusalz –, der Zunahme des Schwerlast- oder Umleitungsverkehrs und vielem anderen mehr, so dass die damit verbundenen Haltbarkeitsrisiken nicht allein auf das Straßenbauunternehmen abgewälzt werden dürften. Vor allen Dingen gerate das nach Ablauf seiner eigenen Regressansprüche gegenüber den Baustofflieferanten in die berüchtigte Gewährleistungsfalle. Man hoffe, so Möhrle und Eisert, dass diese mittelstandspolitisch bedenkliche Vergabepraxis zukünftig keine Schule mache.