Der gebürtige Nigerianer Anwar Albrnaoy, einer der Flüchtlinge, die bei der Bäckerei Berger in Reutlingen lernen, Annette Widmann-Mauz, Seniorchef Hugo Berger und Hubert Berger in der Produktion.

08.10.2018

„Diese Menschen werden gebraucht“

Flüchtlinge in Ausbildung - in der Reutlinger Bäckerei Berger ist das bereits seit Jahren Alltag. Wie das in der Praxis aussieht, darüber informierte sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz.

„Brezeln und die vielen verschiedenen Brotsorten“ antwortet Yaman Almaschad lachend auf die Frage, welche Produkte es ihm angetan haben. Der Syrer, der schon in seiner Heimat als Bäcker gearbeitet hat, ist einer von fünf Flüchtlingen, die bei der Bäckerei Berger in der Produktion und im Verkauf ausgebildet werden.

Fünf von zehn Ausbildenden im Betrieb stammen aus Togo, Nigeria, Syrien und Afghanistan und benötigen allesamt mehr Unterstützung und Betreuung als ihre hier aufgewachsenen Kollegen. Ganz oben steht die Sprache. „Einmal die Woche besucht die Flüchtlingsgruppe den zusätzlichen Deutschunterricht an der Kerschensteinerschule und wird vom Betrieb dafür freigestellt“, sagt Firmenchef Hubert Berger.

Dennoch stellen vor allem Fachbegriffe eine Hürde dar. Auch in Mathematik haben die Flüchtlinge mitunter Schwächen. Ausbilder Stephan Dörr wünscht sich deshalb zielgerichtete Förderangebote als Ergänzung zum Berufsschulunterricht. Im betrieblichen Ausbildungsalltag sei mehr Engagement und nicht zuletzt Geduld gefordert. Er korrigiere zwar nicht jeden Fehler im Berichtsheft, verrät Dörr, aber die regelmäßige Kontrolle sei selbstverständlich, dann stellten sich auch Fortschritte ein.

Bäckermeister Berger nimmt den Mehraufwand in Kauf, obwohl er, anders als viele Nahrungsmittelbetriebe, eigentlich keine Probleme hat, seine Lehrstellen zu besetzen. „Der Erstkontakt kommt über die Arbeitsagentur oder andere Stellen zustande“, erklärt Berger den Ablauf. Ob ein Interessent geeignet sei, werde in einem Praktikum festgestellt. Der große Unterschied zu normalen Bewerbern sei freilich der rechtliche Status. Diese Frage sei geklärt, so Berger: „Alle sind entweder als Asylbewerber anerkannt oder haben eine Aufenthaltsgestattung.“

Betriebe brauchen Planungssicherheit

Annette Widmann-Mauz, Tübinger Bundestagsabgeordnete und seit März diesen Jahres Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, verweist auf die so genannte „3+2-Regelung“, die Ausbildungsbetrieben und Geflüchteten Planungssicherheit geben soll. Dennoch hat es in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, in denen Geflüchtete in Ausbildung abgeschoben worden sind. „Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Anwendung der Regelung“, sagt die Politikerin.

Schließlich könnten beide Seiten profitieren. „Unser Ziel ist, Geflüchtete schnell in Arbeit zu bringen. Die Ausbildung ist ein Weg, Flüchtlingen eine Perspektive zu geben und gleichzeitig Fachkräfte zu gewinnen.“ Der Bedarf sei groß, so Widmann-Mauz, etwa in den Gesundheitsberufen, in der Pflege und auch im Handwerk. Dabei komme es auch auf den Faktor Zeit an. Schnelle Entscheidungen über den Asylantrag seien ebenso wichtig wie eine frühe Feststellung von Fähigkeiten und Qualifikationen „möglichst schon in der Erstaufnahme“.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit machen bundesweit 30.000 Flüchtlinge eine Ausbildung, rund 250.000 sind in sozialversicherungspflichtigen Jobs angekommen – diese Bilanz bestätige die Politik der Bundesregierung, meint Widmann-Mauz. „Jetzt sieht man, dass sich die Investition lohnt. Diese Menschen werden gebraucht.“ So auch im Handwerk der Region: 6,3 Prozent der Auszubildenden im Kammerbezirk stammen aus den flüchtlingsrelevanten Ländern, also aus Afghanistan, Eritrea, Gambia, Irak und Iran, aus Pakistan, Somalia, Nigeria und Syrien. Ihr Anteil an den Neuverträgen beträgt bereits 6,8 Prozent.

Fachkräftezuwanderungsgesetz kommt

Dieter Laible, Mitglied im Vorstand der Handwerkskammer und Kreishandwerksmeister, lobt die Zusammenarbeit von Jobcenter, Kammer und den Integrationszentren des Landkreises. „Es gibt ein funktionierendes Netzwerk, auf das Unternehmen zugreifen können.“

Asyl ist ein Grundrecht. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie der Zugang zum deutschen Arbeitmarkt nicht nur in Mangelberufen künftig gestaltet werden soll. Klare Regeln für die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften und nicht zuletzt eine Entschärfung der Flüchtlingsdebatte soll das Fachkräftezuwanderungsgesetz bringen. „Der Entwurf soll noch in diesem Jahr ins Parlament eingebracht werden“, sagt Widmann-Mauz. Ein Inkrafttreten im ersten Halbjahr 2019 sei realistisch.

Informationen für Betriebe

Informationen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und eine Online-Börse, in die Betriebe freie Ausbildungs- und Praktikumsstellen für Flüchtlinge und Asylbewerber eintragen können, finden Sie auf unseren Internetseiten.

 Flüchtlinge beschäftigen und ausbilden