Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid im Gespräch.

Zuhören und austauschen: Finanz- und Wirtschaftsminister Schmid setzt auf den Dialog mit Handwerk und Mittelstand. Foto: MFW

12.09.2011

"Eine Schlüsselrolle für das Handwerk"

Die grün-rote Landesregierung ist seit vier Monaten im Amt. Die Reutlinger Regionalredakteure der Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ), Alfred Bouß und Udo Steinort, fragten Dr. Nils Schmid, neuer Finanz- und Wirtschaftsminister und Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Reutlingen, was das Handwerk von der Regierung erwarten kann.

DHZ: Unser Eindruck ist, dass das Handwerk im Land bislang mit der neuen Landesregierung recht zufrieden ist. Zahlt sich der auch von Ihnen propagierte neue Politikstil – also die „neue politische Kultur des Dialogs“ – für Sie bereits aus?
Schmid: Gerade der Baden-Württembergische Handwerkstag hat uns sehr gute Resonanz auf unsere Dialogorientierung gegeben. Dialogorientierung bedeutet ja nichts anderes, als dass wir zuhören, uns austauschen und erst danach entscheiden. Gerade im Austausch wird deutlich, dass es gemeinsam am besten geht. Mit der Einsetzung des Mittelstandsbeauftragten Peter Hofelich als unabhängigen Ansprechpartner für Handwerk und Mittelstand hat die neue Landesregierung zudem eine zentrale Forderung des baden-württembergischen Handwerks umgesetzt.

DHZ: Unsere Betriebe interessiert natürlich, wie Sie als Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Reutlingen zur Weiterentwicklung des Bahnprojektes Stuttgart 21 stehen. Die Vollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen hatte sich ja im vergangenen Jahr eindeutig positiv zu dem Bahnprojekt Stuttgart 21 positioniert. Die Erwartung ist, dass die Region insbesondere durch die nach Ulm geplante Schnellbahntrasse einschließlich der „Wendlinger Kurve“ und der neuen Streckenführung der Gäubahn spürbar schneller erreicht werden kann. Mit welcher Bahnhofslösung können unsere Betriebe rechnen?
Schmid: Der nächste Schritt ist die Volksabstimmung. Die neue Landesregierung ist mit dem Ziel angetreten, dass am Ende die Bürgerinnen und Bürger entscheiden werden. Erst wenn das Ergebnis vorliegt, werden wir Klarheit über die Schieneninfrastruktur schaffen können. Bis zur Volksabstimmung werde ich aber alles dafür tun, um für das Projekt Stuttgart 21 zu werben. Gerade weil ich von den vielen Vorteilen von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm für die Menschen und Unternehmen in der Region überzeugt bin.

DHZ: Im Herbst soll die Bevölkerung über den Finanzierungsanteil des Landes am geplanten neuen Hauptbahnhof in Stuttgart entscheiden. Droht der Koalition von Grünen und SPD eine Zerreißprobe?
Schmid: Nein. Die Koalition hat ihre Koalitionsfähigkeit ja gerade dadurch unter Beweis gestellt, dass man trotz des Dissens bei Stuttgart 21 regierungsfähig ist. Beide Partner wissen, dass man sich in diesem Thema gegenseitig nicht wird überzeugen können, aber wir respektieren die Haltung des jeweils anderen Koalitionspartners. Bisher sind wir es in Baden-Württemberg noch nicht gewohnt, dass Sachthemen über ein Referendum entschieden werden. Ich wünsche mir auch eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit Stuttgart 21, schließlich ist das das einzige Thema, in der die Koalition in der Sache nicht übereinstimmt.

DHZ: Eine Umfrage unter unseren Mitgliedsbetrieben hat ergeben, dass für über zwei Drittel unserer Betriebe die Verkehrsinfrastruktur ein wichtiges bzw. sehr wichtiges Thema ist. Ein noch drängenderes Problem ist allerdings der drohende Fachkräftemangel. Die Landesregierung will dem gegensteuern und möchte eine „Allianz für Fachkräfte“ ins Leben rufen. Welche Maßnahmen planen Sie konkret?
Schmid: Wir haben unsere „Allianz für Fachkräfte“ bereits auf den Weg gebracht. Zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit, den Kammern, Gewerkschaften und Arbeitgebern, Verbänden und den betroffenen Ministerien haben wir uns auf einen Zielkatalog geeinigt. Wenn wir diesen Katalog gemeinsam abarbeiten, dann können wir den Fachkräftebedarf für die Wirtschaft sichern. Besonders wichtig ist mir die berufliche Aus- und Weiterbildung. Wir sind froh, dass wir diesen Sommer aktiv bei Schulen und Eltern für die Attraktivität der dualen Ausbildung werben. Wir freuen uns auch über das große Interesse des Handwerks an unseren Ausbildungsbotschaftern, den Sommerkollegs für Hauptschüler oder der vertiefte Berufserprobung in den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten „ProBeruf“.

DHZ: Bei der auch vom Land mitfinanzierten überbetrieblichen Ausbildung können Lehrlinge in unserer Bildungsakademie in Tübingen zum Beispiel mit Maschinen arbeiten, die in den kleineren Betrieben des Handwerks nicht immer zur Verfügung stehen. Die Ausbildung im Betrieb wird also aufs Beste ergänzt, und wir können so das hohe Qualitätsniveau des Fachkräftenachwuchses sichern. Wird sich der Finanzminister Schmid mit seinen Sparzwängen gegen den Wirtschaftsminister Schmid durchsetzen müssen und auch bei den Bildungsakademien den Rotstift ansetzen?
Schmid: Nein, denn ich bin Finanz- und Wirtschaftsminister, nicht Finanz- oder Wirtschaftsminister. Wir wissen, dass das flächendeckende Netz an leistungsstarken überbetrieblichen Berufsbildungsstätten entscheidend zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beiträgt. Mehr als die Hälfte der Einrichtungen zählt zum Handwerksbereich. Dieses Netz möchte die neue Landesregierung gemeinsam mit dem Handwerk und den anderen Trägern auf seinem hohen Leistungsstand halten. Weil wir die Modernisierung der Gebäude und Einrichtungen weiter vorantreiben und die Bundeszuschüsse sichern wollen, beabsichtigt die neue Landesregierung, die Fördermittel in den kommenden Haushaltsjahren zu erhöhen.

DHZ: Die alte Landesregierung hat Ihnen mit dem Kauf der EnBW eine problematische Erblast aufgebürdet. Der Konzern wird sich darüber hinaus auf andere Einnahmequellen besinnen müssen, da die Geldquelle „Atomenergie“ in den kommenden zehn Jahren mehr und mehr versiegen wird. Unsere Betriebe haben die Befürchtung, dass die im Grunde staatseigene EnBW jetzt immer mehr in die angestammten Märkte des Handwerks vordringen wird. Droht auch hier ein Konflikt des Finanzministers mit dem Wirtschaftsminister?
Schmid: Die EnBW ist zweifellos die schwerste Last, die uns die Vorgängerregierung überlassen hat. Wir werden für den Umbau der EnBW zu einem modernen atomstromfreien Energieanbieter Geduld und Augenmaß benötigen. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Handwerk und Energieversorgern. Bei der Umsetzung der Energiewende spielt für mich das Handwerk eine Schlüsselrolle. In den Handlungsfeldern Energieeinsparung und Ausbau erneuerbarer Energien ist es erforderlich, sehr viel mehr Menschen als bisher anzusprechen und für die entsprechenden Maßnahmen zu gewinnen. Ohne qualifizierte Handwerker, die die Haus- und Wohnungseigentümer von der Notwendigkeit und den Vorteilen von verstärkten Anstrengungen bei der energetischen Gebäudesanierung überzeugen, können wir dieses Thema nicht entscheidend voranbringen. Deswegen würde ich mir eine Lösung wünschen, mit der wir den Markt in seiner ganzen Breite entwickeln können.