25.01.2011

Handwerk fordert Nachbesserungen bei der Werkrealschule

„Das Thema Fachkräftesicherung ist das zentrale Thema der kommenden Jahre“, sagte Joachim Möhrle, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, beim diesjährigen Neujahrsempfang in Reutlingen. Dabei komme es nicht allein auf die Schul- und Bildungspolitik an, sondern auch auf faire Wettbewerbsbedingungen für Handwerksbetriebe.

Stichwort: Ausbildungsfähigkeit. Seit Jahren klagen Betriebe über Wissenslücken von Schulabgängern. Diese Diagnose, so Möhrle, habe aber nichts von ihrer Aktualität verloren. „Wenn ein Handwerksmeister in unserer Lehrstellenbörse darauf hinweisen muss, dass Bewerber wenigstens zehn Prozent von 20 Euro ausrechnen können sollten, dann muss das auch dem Letzten zu denken geben.“

Die neue Werkrealschule setzt an diesen Problemen an. Sie führt wie die klassische Realschule zur Mittleren Reife, zeichnet sich aber durch eine stärkere Berufsorientierung aus. „Wegen der engen Verzahnung von Berufswelt und Schule begleitet das Handwerk die neue Werkrealschule nicht nur optimistisch, sondern mit großen Hoffnungen“, betonte Möhrle. Allerdings gebe es noch Verbesserungsbedarf. Vor allem die Notenhürde von 3,0, die Werkrealschüler anders als Realschüler für die Versetzung in Klasse 10 nehmen müssten, stoße auf Unverständnis. „Gleichwertigkeit von Schulformen sieht anders aus“, kritisierte Möhrle.

Mit Sorge blickt das Handwerk auf den 1. Mai 2011. Dann erhalten in der Regel schlechter entlohnte Arbeiternehmer aus den osteuropäischen Beitrittsstaaten volle Freizügigkeit in der Europäischen Union. Möhrle befürchtet Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der heimischen Betriebe und sprach sich für einen branchenbezogenen Mindestlohn aus. Mit Blick auf die Zeitarbeitsbranche kritisierte er aktuelle Fehlentwicklungen. „Dieses Instrument, das der Bewältigung von Auftragsspitzen dienen soll, darf nicht benutzt werden, um tarifliche Vereinbarungen zu unterlaufen.“

Möhrle unterstrich die Bedeutung des Projekts Stuttgart 21 für das gesamte Land, äußerte aber ausdrücklichen Respekt vor Positionen von Bürgern und Unternehmen, die dem Vorhaben sachlich-kritisch gegenüber stünden. Der Hightech-Standort Baden-Württemberg sei auf eine moderne Verkehrsinfrastruktur angewiesen. Nicht zuletzt bringe das Projekt Aufträge für die regionale Wirtschaft und sichere somit Arbeitsplätze. „Stuttgart 21 ist folglich in unmittelbaren Interesse der hier ansässigen mittelständischen Wirtschaft“, fasste Möhrle zusammen. Er sprach sich dafür aus, Bürger noch stärker als bisher in die Planung von Großprojekten einzubeziehen. Allerdings dürfe dies nicht die Verlässlichkeit demokratisch getroffener Entscheidungen in Frage stellen.