Gast und Gastgeber: Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (Mitte), Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert und Präsident Joachim Möhrle (links), IHK-Präsident Christian O. Erbe und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Epp (rechts).

06.02.2012

Minister Bahr beim Neujahrsempfang der Wirtschaftskammern

Vor dem offiziellen Beginn gab es Proteste: Mitarbeiter des Universitätsklinikums Tübingen ergriffen die Chance, ihren Unmut über die Krankenhausfinanzen und den geplanten Stellenabbau zum Ausdruck zu bringen. Drinnen im Saal sprach Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr vor rund 600 geladenen Gästen beim gemeinsamen Neujahresempfang der Industrie- und Handelskammer Reutlingen und der Handwerkwerkskammer Reutlingen über das Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität – im Gesundheitswesen und darüber hinaus.

Vermutlich gibt es ruhigere Posten auf der Berliner Regierungsbank, als den des Gesundheitsministers. Daniel Bahr hat das Amt mit seinen zahlreichen Konfliktfeldern im Mai vergangenen Jahres übernommen. „Wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt“, stellte der 35-Jährige fest. Der deutsche Versorgungsstandard sei im internationalen Vergleich führend. Damit sich daran nichts ändere, seien angesichts des technischen Fortschritts auf dem Medizinsektor und der demografischen Veränderungen Anpassungen notwendig.

Die Kosten werden also weiter steigen. Und dies bedeutet, dass Lasten verteilt werden müssen. Bahr bekräftigte den Grundsatz, dass Risiken, die der Einzelne nicht tragen könne, von der Versichertengemeinschaft übernommen werden müssten. „Eigenverantwortung und Solidarität gehören untrennbar zusammen, sie bedingen einander“, betonte der Freidemokrat. Freilich gelte es, das richtige Verhältnis zu finden, es „neu zu justieren.“ Denn „Vater Staat“ könne nicht alles regeln, so Bahr: „Die Verlässlichkeit der Solidargemeinschaft darf nicht überbeansprucht werden.“

Mehr Markt

Auf dem Rezeptblock der schwarz-gelben Koalition stehen zwei Mittel. Sie setzt auf Prävention und Wirtschaftlichkeit, sprich: mehr Markt. Bahr sieht die Bundesregierung auf einem guten Weg. So zum Beispiel mit dem Arzneimittelpaket, das den Kassen erlaubt, mit der Pharmaindustrie über die Medikamentenpreise zu verhandeln. „Das Arzneimittelpaket ist ein Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik“, sagte Bahr. Es sei gelungen, die Interessen von Patienten und Beitragszahlern in Einklang zu bringen. Mit der Einfüh-rung des Gesundheitsfonds der gesetzlichen Kassen seien außerdem Freiräume von der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt geschaffen worden. Auch in der Pflege will Bahr die Eigenverantwortung stärken. Demenzerkrankte würden größtenteils von Familienangehörigen betreut. Aus diesem Grund habe die Bundesregierung zu Jahresbeginn die Leistungen erhöht, um die Betroffenen besser abzusichern. „Es gilt der Grundsatz ‚ambulant vor stationär’“, betonte Bahr.

Dem Gesundheitswesen, mit seinen rund 4 Millionen Beschäftigten der größte Arbeitgeber Deutschlands, attestierte Bahr gute Zukunftsaussichten. Es würden neue und regional gebundene Arbeitsplätze entstehen. „Medizinische Versorgung wird dort gebraucht, wo die Menschen sind“, sagte der Minister. Die verbesserte Vergütung von Hausärzten, die auf dem Land arbeiteten, sei ein folgerichtiger Schritt: „Wer als Landarzt in die Fläche geht, sollte auch entsprechend verdienen.“

Was den Wirtschaftsstandort angeht, setzt Bahr auf Wachstum durch Innovation und Technologie. „Wachstum schafft Chancen zum Aufstieg.“ Die duale Ausbildung sei ein Erfolgsmodell, das es zu verteidigen gelte. „Wir dürfen nicht nur auf das Abitur fixiert sein“, sagte Bahr mit Blick auf Überlegungen der Europäischen Union, berufliche und schulische Ausbildungswege neu zu bewerten. Die Hürden für den individuellen Aufstieg dürften nicht unnötig erhöht werden.

Absage an Eurobonds

Beim Stichwort Europa durfte die aktuelle Schuldenkrise nicht fehlen. „Die Eurozone bringt Deutschland vor allem Vorteile“, unterstrich Bahr. Es handele sich nicht um eine Krise der Gemeinschaftswährung, sondern um die Folgen zu hoher Staatsschulden. Bahr hatte den Beifall auf seiner Seite, als er sich gegen die so genannten Eurobonds aussprach. Die Staatsschulden in der Eurozone dürften nicht der Gemeinschaft übertragen werden. Zuallererst seien die Problemländer gefordert, „ihre Hausaufgaben“ zu machen. „Regeln, die man sich gesetzt hat, müssen auch eingehalten werden“, sagte Bahr. Bei der Lösung der Probleme komme es wieder auf das richtige Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität an. Was für mittelständische Unternehmen gelte, könne auch für Staaten nicht ganz falsch sein: „Risiko und Haftung gehören zusammen.“

Präsident Joachim Möhrle ging in seinem Schlusswort auf zwei aktuelle Themen ein. Die unter dem Stichwort Basel III geplanten Regeln für Kreditinstitute gefährdeten viele kleine und mittlere Betriebe in ihrer Existenz. Sparkassen und Volksbanken würden für die Fehler anderer Banken in die Pflicht genommen. „Dafür habe ich kein Verständnis“, sagte Möhrle. Punkt zwei: Steueranreize für Energiesparer. Möhrle erinnerte daran, dass rund 40 Prozent des Energiebedarfs auf Gebäude entfallen. „Wer die Energiewende will, muss die Investitionen in die energetische Sanierung für Eigentümer steuerlich absetzbar machen.“