Moderatorin Ute Bruckner (links) im Gespräch mit Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (im mittleren Sessel); Prof. Dr. Andreas Schleicher (rechts oben) wurde per Videokonferenz zugeschaltet.

Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert und Präsident Harald Herrmann (Handwerkskammer Reutlingen), Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, IHK-Vizepräsident Dr. Thomas Lindner und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Epp (v.li.n.re.).

26.01.2015

Neujahrsempfang von Handwerkskammer und IHK Reutlingen

Am 26. Januar 2015 fand der gemeinsame Neujahrsempfang von Handwerkskammer und IHK in der Stadthalle Reutlingen statt. Zentrales Thema in diesem Jahr war die Krise beruflicher und akademischer Bildung.

Mit Spannung erwartet wurde die Diskussion mit Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Philosophie-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Kulturstaatsminister a. D., sowie Prof. Dr. Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris.

Die Handwerkskammer Reutlingen beklagt seit geraumer Zeit, dass die duale Ausbildung immer mehr ins Hintertreffen gerät und junge Menschen vorrangig ein Studium anstreben. „Dabei wird die duale Ausbildung inzwischen europaweit als Erfolgsmodell angesehen,“ erläutert Harald Herrmann, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen. Das sei unter anderem einer der entscheidenden Gründe dafür, dass die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland so gering sei, so Herrmann weiter.

Die Folgen der Fehlentwicklung seien inzwischen unübersehbar: Handwerksbetriebe suchten immer häufiger vergeblich nach Auszubildenden und der demografische Wandel verschärfe das Problem noch. Nicht zuletzt deshalb müsse die Berufsorientierung in den Schulen Baden-Württembergs möglichst bald neu aufgestellt werden. Das neue Schulfach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung müsse schon zum nächsten Schuljahr kommen, verlangte Herrmann: „Die Zeit drängt.“

Aber auch Eltern und Jugendliche müssten umdenken. Das zeige insbesondere die steigende Zahl der Studienabbrecher. Herrmann: „Aus unterschiedlichsten Gründen werden die Erwartungen an das Studium nicht erfüllt, sei es aus Überforderung oder aufgrund der überbordenden Theorie.“ Da sei es für Studenten doch naheliegend, bei den eigenen Vorlieben – also zum Beispiel im technischen Bereich – zu bleiben und eine duale Ausbildung anzuvisieren.

„Die Berufe im Handwerk haben sich in den letzten Jahren hin zu spannenden Tätigkeiten mit hohen Ansprüchen entwickelt: beispielsweise der Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik oder auch der Zimmerer,“ so Herrmann weiter. Und auch die Meisterausbildung biete hervorragende Karrierechancen; zudem stehe sie im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) mit dem Bachelorabschluss auf einer Stufe.

Gleichrangigkeit akademischer und nichtakademischer Berufe
Julian Nida-Rümelin trug in der Stadthalle Reutlingen dann vor rund 700 Gästen aus Wirtschaft und Politik seine Thesen zu dem von ihm so genannten „Akademisierungswahn“ vor. Auch er plädiert für ein Bildungssystem, das sich konsequent an der Vielfalt von Begabungen, Interessen und Lebenswegen orientiert. Um eine Abwärtsspirale zu verhindern, die den Fachkräftemangel weiter verstärke, brauche es ein gesellschaftliches Umdenken.

Per Videokonferenz wurde dann Andreas Schleicher zu der von Ute Brucker (SWR) moderierten Diskussion mit Nida-Rümelin per Videokonferenz zugeschaltet. 2001 hatte Schleicher die in Deutschland viel beachtete erste PISA-Studie vorgestellt. Seit 2002 trägt er die Verantwortung für das gesamte PISA-Programm der OECD. Schleicher hatte erst kürzlich in einer neuen Studie auf die im internationalen Vergleich zu geringe Akademikerrate in Deutschland hingewiesen. Allerdings bestand er darauf, dass in den Aufstellungen der OECD der Meister einem Akademiker gleichgesetzt werde.

Den Einladungsflyer finden Sie hier als pdf: