Immer online, immer vernetzt: Mathias Jung hält es für wichtig, persönliche Freiräume im digitalisierten Alltag zu schaffen. Foto: ufh

23.07.2012

Vom Lob der Entschleunigung

Ein aktuelles Thema haben die Unternehmerfrauen im Zollernalbkreis aufgegriffen. Der Psychotherapeut und Philosoph Mathias Jung referierte im Bildungshaus St. Luzen in Hechingen über den Umgang des digital vernetzten Menschen mit seiner Zeit.

„Keine Zeit haben“ - immer häufiger klagen Menschen darüber. Eine Ursache für diese Entwicklung sieht Jung in unserem zunehmend digitalisierten Alltag. Computer, Handy und Tablet-PC seien zu selbstverständlichen Begleitern in Beruf und Freizeit geworden, entpuppten sich aber mehr und mehr als Zeitfresser. Unser Verhältnis zu den technischen Helfern sei durchaus ambivalent, gab Jung zu bedenken. Zwar werde die tägliche Flut von E-Mails häufig als Belastung  empfunden. Gleichzeitig vermittle der Empfang von vielen digitalen Nachrichten das Gefühl, gebraucht zu werden und wichtig zu sein.

Vernetzt und verkümmert

Jung zeigte an Beispielen aus seiner psychotherapeutischen Praxis auf, wohin die digitale Sucht führen kann. Bei Jugendlichen würden zunehmend Einbußen des Sprachvermögens beobachtet, zudem würden sie körperlich träge. Hirnforscher hätten nachgewiesen, dass die Zonen des Gehirns, die für den häufig benutzten Daumen beim Verfassen von SMS zuständig sind, überproportional ausgebildet sind. Die visuellen Kompetenzen und intellektuellen Fähigkeiten würden auf den Computer reduziert. Mit schwerwiegenden Folgen: Beziehungen gingen in die Brüche, soziale Kontakte außerhalb der sozialen Netzwerke verkümmerten.

Mathias Jungs Empfehlung lautete nicht, sich der digitalen Welt vollständig zu verweigern, er rief vielmehr dazu auf, das virtuelle Eldorado in zeitlicher Hinsicht beherrschen zu lernen.

Zeit zurückgewinnen

Jung spannte in seinem Vortrag einen Bogen in die Kulturgeschichte. Er erinnerte daran, dass der Umgang mit der Zeit früher vor allem von der Natur und den Jahreszeiten bestimmt war. Die daraus entstandenen Rituale seien weitgehend abgeschafft. Inzwischen ist immer alles möglich. Letztlich sei es die Furcht der Menschen vor der Endlichkeit des Lebens, die sie zu Gejagten mache.

Mathias Jung ermunterte dazu, sich wieder bewusst  Zeit für die Muse und das „Faul sein“ zu nehmen. Das Flüchtige und Fragile unserer Existenz erhalte durch den bewussten Umgang mit der Zeit wieder etwas Sinnvolles. Als Tipp gab er den Gästen des Abends mit auf den Weg, dankbar zu sein, denn Dankbarkeit dehne die Zeit. Jutta Rager

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