20.11.2008

"Vorschläge des Handwerks aufgegriffen" - Präsident Joachim Möhrle anlässlich der Wintervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen

Von der internationalen Finanzmarktkrise sind Handwerker bislang nicht unmittelbar betroffen, von Konsumverzicht und Zukunftsängsten der Verbraucher schon. Entsprechend positiv bewertet Handwerkspräsident Joachim Möhrle das kurzfristig zusammengestellte Maßnahmenpaket der Bundesregierung: „Ein erstes richtiges Signal.“ Sorgen bereitet hingegen die Vergabepraxis des Landes.

Seit einigen Tagen ist es offiziell: die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession. Es sind aber die Forderungen so mancher Konzernlenker, die Joachim Möhrle in Rage bringen. „Granatenmäßig“ ärgert sich der Mittelstandsvertreter über Manager, die nun lautstark nach öffentlichen Hilfen rufen, nachdem sie jeglichen staatlichen Einfluss über Jahre verdammt hatten. Bei durch Börsenspekulationen in Nöte geratenen Unternehmen, die jetzt Geld vom Steuerzahler verlangen, stelle sich die Frage nach dem Anstand, so Möhrle.

Mehr Zustimmung findet das Konjunkturprogramm der Bundesregierung. In einigen Teilen seien Vorschläge des Handwerks umgesetzt worden, stellte Möhrle vor der Wintervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen zufrieden fest. Dazu zählten neben einem verbesserten Investitionsabzugsbetrag und der wiedereingeführten degressiven Abschreibung vor allem der Steuerbonus auf Handwerksleistungen, der auf 1.200 Euro verdoppelt wurde. „Die privaten Haushalte als Auftraggeber werden deutlich gestärkt,“ sagte Möhrle.

Gute Geschäfte erwarten die Handwerker im Bereich Gebäudesanierung. Auf 21 Millionen Gebäude schätzen die Experten den Markt für Wärmedämmungen und effiziente Energietechnik. Das Gebäudesanierungsprogramm des Bundes wurde eben nochmals aufgestockt. Die erforderliche Technik für mehr Klimaschutz, so Möhrle, werde vom Handwerk geliefert: „Förderprogramme sowie die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen sind hier in der Tat hervorragende Mittel, um voran zu kommen.“

Lob und Tadel für Reformen

Das zähe Ringen um eine Neuregelung der Erbschaftssteuer beschäftigte in den vergangenen Monaten nicht nur die Parteien, sondern auch viele mittelständische Unternehmen, in denen der Generationswechsel ansteht. Möhrle freute sich darüber, dass zahlreiche Verbesserungsvorschläge des Handwerks in den Kompromiss der Berliner Koalitionäre eingegangen sind. Künftig könnten Betriebe weitgehend ohne Erbschaftssteuer übergeben werden – an Ehegatten bis zu einem Betriebsvermögen von 3,7 Millionen Euro, an Kinder bis zu einem Betriebsvermögen von 2,8 Millionen Euro. Die betriebliche Haltefrist konnte auf sieben Jahre gekürzt werden. Hinsichtlich der Lohnsummen wurde mehr Flexibilität für die Betriebe erreicht. So müssen in einem Sieben-Jahres-Zeitraum 650 Prozent der Lohnsumme gehalten werden.

Nach wie vor stößt die Gesundheitsreform auf wenig Gegenliebe im Handwerk. Dass vor allem Mehrkosten entstehen, zeigte Möhrle am Beispiel des Krankengeldes für gesetzlich versicherte Selbstständige. Diese Leistung wird zum Jahreswechsel aus dem Leistungskatalog gestrichen. Die Lücke könne zwar durch Wahltarife geschlossen werden, erläuterte Möhrle, je nach Anbieter und Tarifstruktur seien aber zusätzliche Kosten von bis zu 300 Euro im Monat möglich.

Mittelstand muss gefördert werden

Harsche Kritik übte Möhrle an der Vergabepolitik des Landes: „Baden-Württemberg lebt vom Mittelstand, aber wir hatten nun den Eindruck, dass das Land die immer wieder hervorgehobene Mittelstandsfreundlichkeit nun vollends über Bord wirft.“

Und darum geht es: Die Landesregierung will beim geplanten Ministeriumsneubau an der Willy-Brandt-Straße in Stuttgart einen Generalunternehmer einsetzen. Es bestehe also die Gefahr, so Möhrle, dass kleine und mittlere Unternehmen nicht zum Zug kommen, obwohl das Land über ein Mittelstandsförderungsgesetz, das die Vergabe in Fach- und Teillosen vorschreibe. Möhrle: „Hier zeigt sich das Land nicht gerade von seiner mittelstandsfreundlichen Seite, denn wie schon bei der Landesmesse werden die Betriebe des Handwerks keine faire Chance haben, dabei zu sein.“

Die Landesregierung setze ihre eigene Programmatik nicht um, werde aber nicht müde, immer wieder an die gesellschaftliche Verantwortung der kleinen Unternehmen – zum Beispiel beim Thema Ausbildung – zu appellieren.